Im Schatten einer industriellen Erfolgsgeschichte
Auch in Japan sorgt das Thema UNESCO regelmäßig für reichlich Kontroverse – neuerdings wegen des Konflikts mit dem Nachbarland Südkorea, welches sich über den Antrag der japanischen Regierung, die Gold- und Silberbergwerke auf der Insel Sado zum Weltkulturerbe zu ernennen, brüskiert. Das Bergwerk ist dafür bekannt, koreanische Zwangsarbeiter in der Kolonial- und Kriegszeit des japanischen Kaiserreichs beschäftigt zu haben. Während die japanische Regierung auf bereits geleistete Reparationszahlungen verweist, sieht Südkorea in dieser Nominierung ein fehlendes Schuldbewusstsein und einen „plumpen Versuch, die Brutalität während der japanischen Herrschaft über Korea zu beschönigen“. Ähnlich spannungsgeladen war auch die Ernennung von 23 Stätten der industriellen Revolution in der Meiji-Zeit zum UNESCO-Welterbe im Jahr 2015, denn auch in diesen Stätten wurden einst Koreaner zur Zwangsarbeit verurteilt. Die Kritik Südkoreas galt nicht etwa (nur) der Ernennung, sondern insbesondere der fehlenden Berücksichtigung von koreanischen Zwangsarbeitern.
Die konservative Regierung Japans hat mit ihrer problematischen Vergangenheitsbewältigung in den letzten Jahrzehnten oft für Schlagzeilen gesorgt. Doch das Augenmerk liegt (auch im UNESCO-Kontext) meistens auf Kriegsverbrechen, die sich wiederum vor allem gegen Nicht- Japaner*innen richten – vom Nanking-Massaker bis hin zu koreanischen Zwangsarbeitern und Zwangsprostituierten aus weiteren kolonialisierten Ländern (Süd-)Ostasiens. Japanische Opfer der geschichtsrevisionistischen Politik Japans hingegen scheinen aus dem Blickfeld der internationalen Kritik und Empörung geraten zu sein. Andernfalls hätte sich ein ähnlicher Aufruhr beobachten lassen, als die Seidenspinnerei in Tomioka 2014 auf Grundlage der Kriterien ii und iv zur Welterbestätte ernannt wurde – ein weiterer Schauplatz von Ausbeutung. Anders als bei den koreanischen Zwangsarbeitern wird den Frauen hier zwar durchaus gedacht, doch bei all den Preisungen über die Seidenspinnerei als ein Ort der Emanzipation und als „Impulsgeber für Frauenarbeitsplätze“3 wird die Leidensgeschichte der Arbeiterinnen und die vorsätzliche Ausbeutung, der sie ausgesetzt waren, vollkommen ausgeblendet.
Der vorliegende Bericht soll im Folgenden die Ergebnisse meiner Forschung darstellen, welche ich im Rahmen der interdisziplinären Forschungsklasse zum Thema „Welterbe“ an der Universität zu Köln im Sommersemester 2021 und Wintersemester 2022 durchgeführt und der Aufgabe gewidmet habe, eben jene Schattenseite dieser industriellen Erfolgsgeschichte zu untersuchen und sie dem gängigen Narrativ eines makellosen Märchens einer modernisierenden und aufsteigenden Nation, welches unter anderem auch von der UNESCO unterstützt wird, gegenüberzustellen.