Sites of Japan’s Meiji Industrial Revolution: Hashima und Takashima
Theoretischer Startpunkt meiner explorativen Forschung war die Verabschiedung der Sustainable Development Goals durch die UN Anfang 2016. Als wichtigste globale Entwicklungsagenda und Nachfolger der Millennium Development Goals rücken die SDGs erstmals die Verknüpfung von Kultur und nachhaltiger Entwicklung in den Vordergrund der Entwicklungspolitik.Da die UNESCO einer der einflussreichsten Fürsprecher dieser Verknüpfung ist, wollte ich die komplexen Beziehungen zwischen Kultur und nachhaltiger Entwicklung an einer Welterbestätte untersuchen. Dieses Vorhaben führte mich an die ehemaligen Abbaustandorte für Steinkohle Hashima und Takashima in Nagasaki, Teil des japanischen Weltkulturerbes mit dem offiziellen Titel „Sites of Meiji Industrial Revolution: Iron and Steel, Shipbuilding and Coal Mining“. Dieses über ganz Japan verteilte Ensemble von (ehemaligen) Industriestätten steht für die erste erfolgreiche Industrialisierung eines nichtwestlichen Landes sowie die in diesem Prozess stattgefundene Vermischung kultureller Techniken und Praktiken.
Hashima, aufgrund ihrer Erscheinung auch „Gunkanjima“ (Kriegsschiffinsel) genannt, ist vermutlich die bekannteste der Stätten. Die winzige Insel vor der Küste Nagasakis wurde erst 1887 für den unterseeischen Kohleabbau besiedelt und bereits 1974 aufgrund der Auswirkungen der Deindustrialisierung wieder verlassen. Davor fungierte sie als regelrechtes Experimentierfeld der japanischen Moderne und war sogar eine Zeit lang der am dichtesten besiedelte Fleck der Erde. Obwohl sie in der offiziellen Geschichte des Welterbes die glorreiche Zeit des nationalen Fortschritts repräsentieren soll, symbolisiert der extreme Aufstieg und Niedergang der verlassenen Insel viel eher die Gespenstigkeit des rapiden gesellschaftlichen Wandels. Als eine der größten touristischen Attraktionen spielt Gunkanjima eine gewichtige Rolle in den Plänen einer nachhaltigen Entwicklung der wirtschaftlich geplagten Region.Der zunehmende und kaum aufzuhaltende Verfall der Bausubstanz gefährdet jedoch die physische Nachhaltigkeit der Stätte selbst und stellt die Konservierungsbemühungen vor erhebliche Probleme. Aus diesem Grund arbeit die Stadtverwaltung in Zusammenarbeit mit Museen und Experten an der Entwicklung von Verfahren zur digitalen Konservierung, welche zumindest den virtuellen Fortbestand der Stätte garantieren soll.
Eine weitere Dimension der Verknüpfung von Kultur(-erbe) und nachhaltiger Entwicklung untersuchte ich auf der noch immer bewohnten Nachbarinsel Takashima. Dort befindet sich mit den Überresten der ersten modernen Kohlemine Japans einer der Ursprungsorte der industriellen Revolution und Beleg der erfolgreichen Anwendung westlicher Technik in lokalem Kontext. Takashimas jüngere Geschichte ist ähnlich vom Steinkohleabbau geprägt wie die Hashimas. Nach der Schließung der Minen im Jahre 1986 verließen auch hier die meisten Bewohner die Inselgemeinde, welche heutzutage mit großen infrastrukturellen, wirtschaftlichen sowie demographischen Problemen zu kämpfen hat. Vor Ort begleitete ich einen Teilnehmer eines Regierungsprogramms zur Revitalisierung ländlicher beziehungsweise postindustrieller Gemeinden, die wie Takashima vor dem Kollaps stehen. Seine Revitalisierungsstrategie beinhaltete auch die Integration der hiesigen Welterbestätte, jedoch nicht ausschließlich zum Anlocken von Touristen, da die Stätte zwar historisch bedeutsam, aber optisch wenig attraktiv ist und sich deshalb kaum dafür eignet. Im Einklang mit dem Programm, in dessen Rahmen er vor Ort aktiv war, ging es in seiner Strategie eher darum, mithilfe des kulturellen Erbes die Beziehung der Inselbewohner zu ihrer Heimat ins Positive zu wandeln. Während die auf der Insel gebliebenen Einwohner ihre Heimat nicht selten als Ort betrachten „an dem es nichts gibt“, bemühte er sich ihnen die Vorzüge der Insel zu vermitteln. Die Transformation der Umweltbeziehungen der Menschen soll in dieser Perspektive die Einwohner zur Partizipation an den Bemühungen einer nachhaltigen Entwicklung der Gemeinde ermutigen, indem ihnen die Eigenverantwortung für die Zukunft ihrer Heimat nähergebracht wird sowie Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Auch wenn solche Maßnahmen, die das Selbstorganisationspotenzial der Gemeinden stärken sollen, für ihre vermeintliche Effizienz gerühmt werden, laufen sie doch Gefahr, strukturelle Problemursachen, die den lokalen Kontext übersteigen, tendenziell außer Acht zu lassen.