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Geschichte(n) von Jerusalem – Erinnerung im Konflikt

Jerusalem als UNESCO Welterbe
Jerusalems Altstadt mit ihren 220 historischen Bauwerken ist nicht zuletzt aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für Judentum, Christentum und Islam ein prominentes UNESCO Weltkulturerbe. In der Funktion als (potenzielle) palästinensische und israelische Hauptstadt ist Jerusalem aber auch Symbol für die politischen und militärischen Auseinandersetzungen seit der Ausrufung eines israelischen Staates auf palästinensischem Gebiet 1948.
Auch die UNESCO hat sich hier positioniert: Unter anderem in Folge ihrer Anerkennung Palästinas als Staat 2011 sind Israel und die USA Ende 2018 aus der UNESCO ausgetreten. Einen Sonderstatus erhält das Welterbe auch, indem es, von Jordanien vorgeschlagen, seit 1981 unabhängig von Israel oder Palästina gelistet ist.

Meine Forschung: Erinnerungsnarrative
Mich hat in meiner Forschung diese Schnittstelle zwischen Politik, Geschichte und Kultur interessiert. Beschäftigt habe ich mich mit divergierenden Erinnerungsnarrativen1 zur Geschichte Jerusalems – und zwar in Bezug auf israelische und palästinensische Perspektiven. Mein Fokus lag dabei auf solchen Erinnerungsnarrativen bzw. auf solchen Manifestationen des kulturellen oder kollektiven Gedächtnisses, die deutlich nach außen getragen werden.
Probleme: Ungleiches Quellenmaterial

Während meiner Zeit vor Ort habe ich schnell festgestellt, dass ein Vergleich zweier Perspektiven schwierig ist, weil ich unterschiedliche Zugänge hatte. Die israelische Perspektive war für mich gut in ihrer offiziellen Gestaltung in Jerusalem über Museen, Infotafeln, Broschüren, Führungen usw. einsehbar. Auf palästinensischer Seite war kein offizieller Diskurs vertreten.
Es gibt in Jerusalem keine Museen mit palästinensischem Fokus zur Geschichte Jerusalems und wenig Stadtführungen. Die palästinensische Perspektive habe ich daher über meinen fachlichen Hintergrund, Reisen ins Westjordanland sowie die Arbeit in einem palästinensischen Hostel eher über persönlichen Kontakt erfahren.  

Ergebnisse
Ich habe mich entschieden, diese Probleme in meine Forschung aufzunehmen, indem ich herausarbeite, wie Israel offiziell die Geschichte Jerusalems erzählt und die Ergebnisse mit palästinensischen Perspektiven kontextualisiere.
Dabei haben sich drei Aspekte in der Geschichtsdarstellung Jerusalems herauskristallisiert: Erstens die Fokussierung der offiziellen israelischen Erzählung auf die erste und zweite Tempelperiode, wobei zwischen Fakten und Vermutungen nicht differenziert wird, und diese Zeit mit einem jüdischen Israel verknüpft wird, das hier seinen Anfang findet. Sowohl die Existenz eines Tempels als auch der gewählte Anfangspunkt der Geschichte Jerusalems werden von palästinensischen Quellen relativiert.

Zweitens die Rede von einem jüdischen ,Exil‘ über ca. 2000 Jahre, das von palästinensischen Quellen eher als ,Diaspora‘ oder ,Vertreibung‘ bezeichnet wird. Und drittens das Sprechen oder Nicht-Sprechen über die Zeit seit der Gründung des modernen Staates Israel. Während die meisten offiziellen israelischen Erzählungen der Geschichte Jerusalems 1948 oder spätestens 1967 enden, erinnern Palästinenser*innen vor allem diese Zeit. Ausschlaggebend sind hier Begriffe wie die Nakba, verbunden mit Rückkehr-Symbolen wie dem Schlüssel, sowie der offiziellen israelischen Darstellung entgegenlaufende Erzählungen zu Ereignissen dieser Zeit.

Schlussfolgerung und Ausblick
Jerusalems Geschichte wird u.a. über diese drei Aspekte klar mit der Geschichte Israels (klarer: des jüdischen Israels) verbunden. Eine palästinensische Geschichte wird nicht ausgeschlossen, aber doch nicht wirklich erzählt. Und die vielen Angebote zur Geschichte seitens der israelischen Regierung überdecken klar die wenigen palästinensischen Versuche einer eigenen Geschichtsschreibung in der (internationalen) Öffentlichkeit.
Diese Art der Darstellung der Geschichte Jerusalems kann im Sinne einer Geschichtspolitik sicherlich als Teil der Legitimierungsstrategie des aktuellen israelischen Staates verordnet werden. Die Frage bleibt, inwiefern solche Geschichtsrepräsentationen- und Deutungen auf die Bevölkerung, ihre Identität und ihr Zusammenleben wirken und ob Bestrebungen nach konvergierenden Erinnerungsnarrativen hier sinnvoll sind.


1 Erinnerungsnarrative verstehe ich hier als sinnstiftende Erzählung oder Erzählweisen um bestimmte historische Ereignisse oder Orte herum. Erinnerung ist dabei mit Assmanns kulturellem Gedächtnis in einem kollektiven, geformten Sinn zu verstehen, wobei ich mit „Erinnerung“ auch den Blick von heute auf die Vergangenheit verdeutlichen möchte sowie deren gesellschaftspolitische Dimensionen auch im Zusammenhang mit Identitätsdebatten.