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Nagasaki: Geschichtsvermittlung zwischen Idealisierung und Aufarbeitung TextNagasaki - Alte Residenz von Thomas Glover (2).jpg

Sites of Japan's Meiji Industrial Revolution: Nagasaki

Als Zielort für meine Feldforschung wählte ich das Weltkulturerbe Sites of Japan’s Meiji Industrial Revolution, welches die ersten modernen Industrieanlagen auf japanischem Boden umfasst. Da es sich hierbei, wie der Name bereits andeutet, nicht um eine einzige Stätte, sondern um eine ganze Reihe verschiedener Anlagen handelt, die über ganz Japan verteilt sind, grenzte ich mein Forschungsvorhaben auf Nagasaki ein, wo sich die größte Konzentration von Industrieerbestätten an einem Ort findet. Die dortigen Anlagen stellten zudem den Ausgangspunkt der Industriellen Revolution in Japan dar, die das Land binnen weniger Jahre von einem mittelalterlichen Feudalstaat in eine der führenden Industrienationen der Welt verwandelte – eine Erfolgsgeschichte, die in Japan angesichts aktueller wirtschaftlicher Stagnation bei gleichzeitigem Aufstieg von Nachbarländern wie Südkorea, Taiwan und China mit einer gewissen Nostalgie rezipiert wird und noch immer eine Quelle von Nationalstolz darstellt.

Gerade im Verhältnis zu Japans asiatischen Nachbarn stellen die Sites of Japan’s Meiji Industrial Revolution jedoch zugleich auch ein Politikum dar, da an einigen dieser Stätten (so zum Beispiel in den Kohleminen von Hashima und Takashima) während der Zeit des Zweiten Weltkrieges ausländische Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Aus diesem Grund wurde ihre Aufnahme in das UNESCO-Weltkulturerbe zunächst blockiert, ehe es im Sommer 2015 zu einer überraschenden Einigung zwischen Japan und Südkorea kam, in dem sich die japanische Seite dazu verpflichtete, bis Ende 2017 an den jeweiligen Stätten für entsprechende Aufklärung über das Schicksal ausländischer Zwangsarbeiter zu sorgen. Dies stellte zugleich den Ausgangspunkt meiner Forschungsfrage dar, nämlich wie an den Weltkulturerbestätten in Nagasaki Geschichte konkret vermittelt wird.

Der Forschungsaufenthalt selbst war mit gewissen Schwierigkeiten verbunden, zum einen, weil es sich um meine erste Feldforschung handelte und ich daher methodisch vieles zunächst erproben musste, zum anderen auch, weil sich vor Ort herausstellte, dass sich von den insgesamt acht Einzelstätten in Nagasaki nur zwei für meine Forschungsfrage überhaupt eigneten. Die anderen Stäten waren entweder nicht öffentlich zugänglich oder derart abgelegen und schwach besucht, dass hier von einer Geschichtsvermittlung gar nicht wirklich die Rede sein konnte. Ich musste mich also schließlich auf die alte Glover-Residenz und den umgebenden Glover-Garden sowie die Kohlemine von Hashima beschränken. Diese diversen Einschränkungen und Probleme führten dazu, dass ich in Bezug auf die Ergebnisse meiner Feldforschung nicht so sehr von wissenschaftlichen Erkenntnissen als vielmehr von persönlichen Eindrücken sprechen würde, die als Grundlage für ein späteres, ausgedehnteres Forschungsvorhaben dienen sollen.

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass an den einzelnen Stätten kein übergeordnetes geschichtspolitisches Konzept erkennbar ist, das sie als Teile des Gesamt-Weltkulturerbes Sites of Japan’s Meiji Industrial Revolution ausweisen würde. Dies mag allerdings auch daran liegen, dass der Weltkulturerbe-Status dieser Stätten noch relativ neu ist; eine Veränderung in den nächsten Jahren ist also durchaus denkbar. Die Vermittlung konkreter Geschichtsbilder lässt sich nur in Bezug auf die Einzelstätten feststellen, allerdings zeichnet sich auch hier ein durchaus differenziertes Bild. Während den Besuchern der alten Glover-Residenz und des umgebenden Parks allgemein eine sehr idealistische und fortschrittsoptimistische Sicht auf die Industrialisierung und ‚Verwestlichung‘ Japans geliefert wird, sind in der Präsentation von Hashima durchaus auch kritischere Untertöne zu erkennen. Zwar stehen auch hier die Errungenschaften des technischen Fortschrittes und die kollektive Leistung der ehemaligen Einwohner von Hashima im Vordergrund, allerdings kommen durchaus auch Themen wie die rücksichtlose Ausbeutung natürlicher Ressourcen und die teils rauen Lebensbedingungen auf der Insel zur Sprache. Die Zeit des Zweiten Weltkrieges oder gar das Thema Zwangsarbeit werden bisher an keiner der Stätten offen thematisiert – zumindest auf Hashima gibt es in Bezug auf die Geschichtsvermittlung also noch einiges zu tun, sollte Japan beabsichtigen, die mit Südkorea getroffenen Vereinbarungen zu respektieren. Die Frage nach der Art von Geschichtsvermittlung, die an den Sites of Japan’s Meiji Industrial Revolution in Nagasaki praktiziert wird, ist also direkt verbunden mit der Frage, ob diese ihren Status als UNESCO- Weltkulturerbe behalten werden oder demnächst wieder verlieren könnten.