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Palmyra – ein Weltkulturerbe im Kontext von Krieg und Vertreibung

Site of Palmyra

Kulturerbe in Krisengebieten
“Our cultural and natural heritage are both irreplaceable sources of life and inspiration. They are our touchstones, our points of reference, our identity”, so beschreibt die UNESCO Kulturerbe allgemein. Doch was passiert, wenn dieses Erbe, das Zeugnis einer gemeinsamen Geschichte, einer kollektiven kulturellen Identität, zur Zielscheibe in bewaffneten Konflikten wird? Bereits 2012 sorgte die Zerstörung der Mausoleen in Timbuktu für Aufsehen auf nationaler und internationaler Ebene und führte dazu, dass die Zerstörung von kulturellem Erbe zum ersten Mal als Kriegsverbrechen geahndet wurde. Mit dem Einmarsch des sogenannten Islamischen Staates (IS) in Palmyra bot sich eine vergleichbare Situation in der Wüste Syriens.

Das Zaatari Refugee Camp
Inmitten der vermehrten Berichterstattung über die kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien und die Vertreibung von über fünf Millionen Menschen, interessierte mich, welche Bedeutung Kulturerbe für ebenjene Menschen hat, die dies erleiden müssen. Daraus entwickelte sich meine Fragestellung: Welche Bedeutung hat Palmyra für syrische Geflüchtete in Jordanien im Kontext von Krieg und Vertreibung?
Da ich nicht nach Syrien reisen konnte, beschloss ich meine Forschung im Nachbarland Jordanien zu führen, wo laut aktuellen Zahlen von UNHCR 661.114 syrische Geflüchtete leben (Stand: 3.7.2017). Insgesamt führte ich meine Interviews über einen Zeitraum von drei Wochen in der jordanischen Hauptstadt Amman und im Zaatari Refugee Camp – eins der größten Camps weltweit, wo zurzeit ca. 80.128 Menschen leben (UNHCR, Stand: 3.7.2017).

Kunst im Flüchtlingscamp
Dort hat sich die Künstlergruppe Art from Za’atari gebildet und eine Ausstellung mit dem Titel „Syrien: Kultur und Geschichte“ organisiert. Im Rahmen dieser Ausstellung wurden u. a. Miniaturen syrischer Kulturdenkmäler nachgebaut – darunter auch Palmyra. Diese Ausstellung zielte insgesamt darauf ab, die Geschichte Syriens in den Vordergrund zu stellen, die Welt damit vertraut zu machen und so der Dehumanisierung des Konflikts entgegenzuwirken.
„Syrien ist ein zivilisiertes Land und die Menschen, die dort leben, sind nicht ignorant [...]. Wir haben eine kulturelle Geschichte. Das, was uns passiert, passiert nicht, weil wir aus den Wäldern kommen.“
Dies sollte die Welt verstehen, wenn sie auf den Krieg in Syrien blickt, sagte ein Interviewpartner zu mir und betonte damit die Wichtigkeit von Kulturerbe für sich.

Kulturelles Gedächtnis
Angesichts der voranschreitenden Zerstörung in Syrien scheinen sich die betroffenen Menschen von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen zu fühlen. Nicht einmal Palmyra beispielsweise, das durch ihren Status als UNESCO-Weltkulturerbe von offizieller Seite als Erbe der gesamten Menschheit deklariert wurde, konnte vor der Zerstörung bewahrt werden. Daher richtet sich die Botschaft der Künstler an ebendiese Gemeinschaft:
„Die Geschichte, die wir durchlebt haben, ist nicht nur syrische Kultur […]. Wenn irgendetwas von dem Kulturerbe zerstört wird, verliert die ganze Welt etwas. Es sind nicht allein wir, die etwas verlieren.“
Doch auch wenn die materiellen Zeugnisse der Geschichte zerstört werden, Bauten seien trotzdem nicht alles. Wichtiger sei es, das kulturelle Erbe im Gedächtnis der Menschen aufrechtzuerhalten und die Erinnerung daran, kommenden Generationen zu übermitteln. Einer meiner Interviewpartner erklärte mir das so:
„Mein Vater heißt Ismail. Der ist tot, aber ich werde am Ende der Sohn von Ismail bleiben. Genauso wird Syrien die Tochter ihrer Geschichte bleiben.“

Gedanken zum Wiederaufbau
Trotzdem sprachen sich fast all meine Interviewpartner dafür aus, Palmyra nach dem Krieg wiederaufbauen zu lassen, auch wenn es dann nur noch etwas Symbolisches sei, das als Erinnerungsstütze diene. Denn dasselbe Erbe wird es nicht mehr sein, darin waren sich alle einig. Einer der Künstler beschrieb das wie folgt:
„Ich habe z. B. [das Zenobia Relief] nachgebaut. Selbst wenn ich das […] mit demselben Stein und demselben Material [nachbaue] – die Seele, die da drin ist, ist nicht die gleiche, die ich ihr gebe. Derjenige, der das gemacht hat, hat vielleicht die Königin geliebt, verehrt. Er hatte etwas, das er [dem Relief] verleihen wollte.“
Doch in welcher Form soll Palmyra wiederaufgebaut werden? Während es den einen wichtig war, dass die Spuren dessen, was dort geschehen war, in irgendeiner Form sichtbar bleiben, sprachen sich einige dafür aus, das Trauma zu verbergen:
„Es gibt Sachen, über die man reden kann und es gibt Sachen, die sollten wir unseren Kindern nicht erzählen. Das sollten wir begraben. Wir müssen unseren Kindern von unserem Kulturerbe erzählen. Wir müssen das wiederaufbauen […].“
Die Diskussion über den Umgang mit zerstörtem Kulturerbe wird sicherlich auch in Zukunft anregen, darüber zu sprechen, wie das Geschehene verarbeitet werden soll.

Fazit
Obwohl ich meine Forschung zu Palmyra geführt habe, so stand dieses Kulturerbe jedoch repräsentativ für all das andere Erbe, das in Syrien zerstört wird – unabhängig davon, ob es das UNESCO-Label trägt oder nicht. Denn immer wieder kam von meinen Interviewpartnern der Einwand: Nicht nur Palmyra – es wurde nicht nur Palmyra zerstört und es soll auch nicht nur Palmyra wiederaufgebaut werden. Im Grunde ist es das gemeinsame Erbe, das in Zeiten von Krieg und Vertreibung an eine kollektive kulturelle Identität erinnert und Menschen, die politisch auseinandergerissen wurden, doch auf irgendeine Art wieder verbindet.