Traditionelles Wissen der Jaguar Schamanen von Yuruparí
Wie kann der Mensch sich in einer zunehmend rationalisiert-industrialisierten Welt wieder mehr seiner Umwelt annähern und sich als Teil dieser begreifen? Diese Frage treibt mich seit mehreren Jahren an, seitdem ich mich im Rahmen meines Studiums mit indigenen Kosmovisionen in Lateinamerika befasse. Während der Mensch sich in der westlichen Philosophie seit der Aufklärung zunehmend von seiner Umwelt entfernt hat und die verheerende Auswirkungen dieser Distanzierung heute im Zeitalter der Anthropozän zu spüren sind, pflegen viele indigene Gemeinden in Lateinamerika eine integrale und spirituelle Beziehung zu ihrer Umwelt, die ein Gleichgewicht von Mensch und Natur anstrebt. Geben und Nehmen das gilt hier nicht nur zwischen Mitmenschen, sondern auch für das Zusammenleben mit anderen Lebewesen und Organismen.
Die indigenen Gemeinden im kolumbianischen Bundesstaat Vaupés in der Amazonas Region haben ihr anzestrales Wissen über die Umwelt, trotz zunehmend globaler Einflüsse, bis heute erhalten. Im Territorium der Jaguar Schamanen von Yuruparí entlang des Flusses Pirá Paraná, der als gemeinsamer mythischer Ursprung gilt, leben verschiedene Sprachgruppen der östlichen Tukano Sprachfamilie. 2011 hat die UNESCO ihr Wissen als immaterielles Kulturerbe der Menschheit ausgezeichnet. Neben dem Versuch dem zunehmenden kulturellen Vergessen entgegen zu treten, war der Kulturerbe Prozess auch ein Versuch dem wachsenden Druck durch den Bergbau in der Region abzuwehren.
Ist es gelungen das Reservat vor Bergbau Projekten zu schützen und mehr politische Anerkennung zu erlangen, auch für die eigene Spiritualität und Ontologie? Warum ist aber nur ein indigenes Territorium in der UNESCO Auszeichnung vertreten, obwohl das anzestrale Wissen auch andere indigenen Gemeinden im Bundesstaat Vaupés teilen? Hat die UNESCO sich bei der Auszeichnung also womöglich von Authentizitätsfragen leiten lassen?
Mit diesen Fragen machte ich mich zu einer 4-wöchigen Feldforschung zunächst in die laute und hektische Millionenstadt Bogotá und dann in das Dschungelnest Mitú an der kolumbianisch-brasilianischen Grenze auf. Anfangs hatte ich geplant vor allem mit Vertreter*innen des von der UNESCO ausgezeichneten Territoriums der Jaguar Schamanen von Yuruparí zu sprechen. Letztendlich entwickelten sich jedoch auch zahlreiche Begegnungen mit indigenen Vertreter*innen aus anderen nicht ausgezeichneten Territorien. Auch sie schilderten mir ihre persönlichen Bedeutungen von Kulturerbe und ihre Wahrnehmung über kulturelle Veränderungen in der Region.
Welche Schwachstellen das immaterielle Kulturerbe der Menschheit in Bezug auf das Natur-Kultur Verständnis aufweist, ob es den Gemeinden des Pirá Paraná gelungen ist ihr Territorium vor Bergbau zu schützen und welche andere „Gefahr“ das traditionelle Wissen der Jaguar Schamanen ausgesetzt ist, beschreibe ich unter anderem in meinem Forschungsbericht. Viel Freude beim Lesen!