Kôya-san
Der Grundstein für mein Forschungsthema im Rahmen der Forschungsklasse Welterbe wurde gelegt, als ich in verschiedenen Zeitungen Artikel über Streitpunkte zwischen Mönchen und ausländischen BesucherInnen des Kôya-san las.[1] Der von mir vermutete Konflikt sollte zum Ausgangspunkt meiner Forschung werden, aber auch die damit verbundenen Veränderungen rückten in meinen Fokus. Um einen tieferen Einblick zu gewinnen, reiste ich im September 2019 für drei Wochen in die Präfektur Wakayama und lebte in den Tempelunterkünften der Mönche des Kôya-san.
Der Ort wurde vor über 1200 Jahren als Zentrum für Studien und Praktiken der buddhistischen Shingon-Schule (shingon-shû 真言宗) vom buddhistischen Mönch Kûkai 空海 (774-835 n. Chr.) gegründet. Im 10. Jahrhundert kam der Glaube auf, dass dieser 835 n. Chr. nicht verstorben, sondern auf dem Kôya-san in eine ewige Meditation verfallen sei. Kûkais Position im Shingon, aber auch die Mythen um seine Person, ziehen bis heute zahlreiche PilgerInnen und TouristInnen auf die Hochebene. Heute befinden sich auf dieser 117 dem Kongôbu-ji 金剛峯寺 untergeordnete Tempel, rund 600 Mönche und seit 1926 eine Universität für religiöse Studien. Der Kôya-san wurde 2004 als Teil der Heiligen Stätten und Pilgerwege im Kii-Gebirge als UNESCO-Welterbe ausgezeichnet.
Die Relevanz des Ortes speist sich zu einem Großteil aus seiner religiösen Signifikanz. Die Hochebene steht daher vor einer veränderten Situation, die aus dem sozialen Bedeutungsverlust sowie der Neudefinition der Rolle von Religion in der Gegenwart resultiert. Der Rückgang von klassischen PilgerInnen ist dabei eine direkte Konsequenz. Man könnte nun meinen, dass dies deutliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation des Kôya-san mit sich bringt - ein Blick auf die Besucherzahlen verrät jedoch, dass man sich auf der Hochebene an einer bedeutenden Anzahl an Gästen erfreut.
Die UNESCO spielt dabei eine maßgebliche Rolle: „The World Heritage system has an enormous influence, especially in Japan. Designation as a World Heritage site results in publicity and a jump in tourism. […] We can see how some sites edit their religious significance for secular consumption.”[2] Wenn eine säkuläre Organisation wie die UNESCO einen ebenso säkulären Titel an einen sakralen Ort verleiht, unterstützt sie damit, dass der Ort sich, zusätzlich zu seiner religiösen Funktion, auch als eine Attraktion für den säkulären Gast etabliert. Zusätzlich kann es zu langfristigen Veränderungen kommen, die dem Anspruch, die Authentizität eines Ortes zu bewahren, entgegenlaufen.
Die für meine Forschung zentrale Frage ist, in welchem Verhältnis genau sich die UNESCO zu den Veränderungen auf dem Kôya-san befindet. Ihr Einfluss auf den Tourismus eines Ortes und ihre Allgegenwärtigkeit auf dem Kôya-san sind nicht bestreitbar, ihre Position in dem Geflecht von Partikularinteressen diverser Organisationen, lokalen Bedürfnissen und Verschiebungen rund um die Rolle von Religion ist aber deutlich schwieriger zu definieren. Ist die UNESCO tatsächlich der auslösende Faktor für den Wandel des Kôya-san oder unterstützt sie lediglich bereits existierende Entwicklungen der Hochebene? Basierend auf den im Feld gesammelten Daten soll diese Frage in meinem Forschungsbericht näher erörtert werden.
[1] „ ‘Even monks get impatient’: Buddhist priest sorry for anger at tourist reviews”; abrufbar unter: https://www.theguardian.com/world/2018/jul/27/even-monks-get-impatient-buddhist-priest-sorry-for-anger-at-tourist-reviews (letzter Zugriff am 20.02.2020).
„Rowdy tourists and grumpy monks of Mount Koya could do with a dose of Kukai’s wisdom”; abrufbar unter: https://www.japantimes.co.jp/community/2018/02/14/general/rowdy-tourists-grumpy-monks-mount-koya-dose-kukais-wisdom/#.Xk6IIUpCdPY (letzter Zugriff am 20.02.2020).
[2] OKAMOTO, Ryosuke: Pilgrimages in the Secular Age: From El Camino to Anime. Übersetzt von: IWABUCHI, Deborah, ENDA, Kazuko. Tokyo: Japan Publishing Industry Foundation for Culture 2015, S. 79.